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Die Hannoversche Erklärung ist das Abschlussdokument des 36. Deutschen Naturschutztages und wurde im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung am 29. Juni präsentiert und an Vertreter*innen der Politik gegeben.

Der Entwurf stand bis zum 16. Juni 2022 allen Teilnehmer*innen online zur Verfügung. Sie hatten die Möglichkeit, Ihre Wünsche, Ergänzungen und Änderungen zur Hannoverschen Erklärung digital einzureichen. Ein Redaktionsteam überprüfte die Einreichungen und entschied, welche Vorschläge in die Abschlusserklärung übernommen wurden.

 


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DNT 2022 - HANNOVERSCHE ERKLÄRUNG


NATURSCHUTZ JETZT! Natur. Landnutzung. Klima.

Abschlusserklärung des 36. Deutschen Naturschutztages 2022 in Hannover


Naturschutz ist elementarer Teil der Lösung für die bevorstehende Transformation

Die Entwicklung der biologischen Vielfalt ist trotz nationaler, europäischer und internationaler Bemühungen weiterhin äußert besorgniserregend. Die Biodiversitätskrise ist mindestens so existenzbedrohend wie die Klimakrise und untrennbar mit ihr verbunden. Die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelösten geopolitischen Krisen verstärken diese noch. Der für die angestrebte Klimaneutralität erforderliche klimaneutrale Umbau von Energiewirtschaft, Verkehr, Landnutzung und Industrie wird den Druck auf Natur und Landschaft verstärken.

Naturschutz braucht mehr Fläche und mehr Qualität

Das Zeitfenster für die Bewältigung der beiden Krisen wird immer kleiner. Daher ist jetzt entscheidend, unvermeidbare Eingriffe nicht nur auszugleichen, sondern den Zustand der Natur auf zusätzlichen Flächen qualitativ und dauerhaft zu verbessern. Eine Offensive für eine wirksame Förderung der biologischen Vielfalt, eine effektivere Umsetzung von Schutz- und Renaturierungsmaßnahmen sowie eine Neuausrichtung und gezielte Ausweitung der Finanzierung des Naturschutzes sind überfällig.

Natürlichen Klimaschutz stärken

Beiträge des natürlichen Klimaschutzes wie zum Beispiel Moorklimaschutz, gesunde Wälder und Biotopverbünde müssen verstärkt in den Fokus von Naturschutzaktivitäten rücken, um Teil der Bewältigung der Klimakrise zu werden. Dies gilt auch für naturbasierte Lösungen zur Anpassung an den Klimawandel, wie die Einrichtung natürlicher Überschwemmungsflächen zur Hochwasservorsorge.

Energiewende und Artenschutz gemeinsam voranbringen

Der erforderliche Ausbau von erneuerbaren Energien - an Land und auf See - darf nicht auf Kosten des Naturschutzes, sondern muss im Einklang mit dem Natur- und Artenschutz erfolgen. Um Konflikte zu vermeiden, muss der Naturschutz von Anfang an bei der Flächenauswahl und -planung einbezogen werden und für die Artenschutzprüfung braucht es klar vollziehbare, einheitliche Maßstäbe. Ein nationales Artenhilfsprogramm zum Schutz von Arten muss adäquat finanziell ausgestattet sein.

Landnutzung naturverträglich gestalten

Die Rahmenbedingungen für die Landnutzung müssen seitens der Bundespolitik künftig so gestaltet werden, dass vorrangig naturverträgliche, klimaschonende Nutzungen unterstützt und gefördert werden. Erforderlich sind anspruchsvolle ökologische Mindeststandards in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft genauso wie ein Abbau aller biodiversitätsschädigender Subventionen. Zudem müssen alle Nutzungen in Schutzgebieten konsequent der Erreichung der jeweiligen Schutzziele dienen.

Biodiversitätsoffensive starten

Die Klimakrise und der weltweit vielfach dokumentierte Rückgang der biologischen Vielfalt erfordern eine zügige Neufassung und Implementierung einer ambitionierten neuen Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt (NBS) und eines Nationalen Aktionsplanes mit konkreten Zielen und Maßnahmen für alle Bundesressorts. Wesentliche Elemente sind die Ausweisung von mindestens 10 % der Fläche als strenge Schutzgebiete im Sinne der EU und eine zeitnahe Umsetzung der Ziele zur Wiederherstellung von Ökosystemen, indem weitere 10 % der Fläche naturschutzfachlich stark aufgewertet werden.


Ausblick: Die Transformation als Booster für den Naturschutz nutzen!

Angesichts der bevorstehenden Transformation in den Bereichen Energie, Landnutzung, Verkehr und Industrie hat die Erhaltung und naturnahe Entwicklung von Natur und Landschaft eine Schlüsselrolle inne. Naturschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe; ein erfolgreicher Naturschutz sowie eine naturverträgliche Landnutzung leisten zentrale Beiträge für einen natürlichen Klimaschutz und den Erhalt der biologischen Vielfalt.

Die Teilnehmenden des 36. Deutschen Naturschutztags fordern die Landesregierungen und die Bundesregierung auf, sich für eine Qualitätsoffensive im Naturschutz einzusetzen und umgehend die genannten Schritte konsequent anzugehen, um den dramatischen Verlust der Vielfalt an Arten und Lebensräumen endlich zu stoppen und unsere natürlichen Ressourcen zu schützen.

Präambel

Naturschutz ist elementarer Teil der Lösung für die bevorstehende Transformation

Die nationale, europäische und internationale Entwicklung der biologischen Vielfalt ist äußerst besorgniserregend. Es ist trotz internationaler Abkommen, europäischer Richtlinien und Strategien zum Schutz der biologischen Vielfalt bisher nicht gelungen, den Rückgang von Lebensräumen und Arten zu stoppen oder großflächig Verbesserungen beim Zustand von Schutzgebieten herbeizuführen. Der fortschreitende Klimawandel verschärft die Situation zusätzlich. Zahlreiche aktuelle Studien und Monitoringdaten belegen: Der dramatische Biodiversitätsverlust ist mindestens so existenzbedrohend wie die Klimakrise und untrennbar mit ihr verbunden. Aktuelle, direkt spürbare Krisen wie die Corona-Pandemie oder noch stärker der Krieg in der Ukraine verdrängen momentan diese globalen Krisen aus der öffentlichen Wahrnehmung.

Dabei gerät in Vergessenheit, dass Naturschutz unsere Lebensgrundlagen sichert und zugleich eine elementare Investition in unser Wohlergehen ist. Angesichts des bevorstehenden klimaneutralen Umbaus von Energiewirtschaft, Infrastruktur, Landnutzung und Industrie wird auch die Erhaltung der biologischen Vielfalt umso wichtiger, zumal die grüne industrielle Revolution großen Druck auf Natur und Landschaft ausüben wird.

Da die Zeitfenster sowohl für die Bewältigung der Klima- als auch der Biodiversitätskrise immer kleiner werden, ist es gerade jetzt entscheidend, unvermeidbare Eingriffe nicht nur auszugleichen, sondern den Zustand der Natur auf zusätzlichen Flächen qualitativ und dauerhaft zu verbessern. Dafür muss aus dem Verschlechterungsverbot ein rechtsverbindliches Verbesserungsgebot bei der Planung neuer Projekte und Vorhaben werden. Darüber hinaus sind eine Offensive für eine wirksame Förderung der biologischen Vielfalt, eine effektivere Umsetzung von Schutz- und Renaturierungsmaßnahmen sowie eine Neuausrichtung und gezielte Ausweitung der Finanzierung des Naturschutzes überfällig.

 

Naturschutz braucht mehr Fläche und Qualität

Mit dem Klimabeschluss vom Frühjahr 2021 hat das Bundesverfassungsgericht eine zeitgemäße Neubestimmung des Freiheitsbegriffs vorgenommen. Aus der Verpflichtung des Staates, die Freiheitschancen der jungen Generation auch für die Zukunft zu sichern, ergibt sich die Aufgabe, in der Gegenwart mehr für unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu tun. Dieses Urteil muss auch für den Schutz der Biodiversität Konsequenzen haben. Natur- und Artenschutz muss mit höchster politischer Priorität umgesetzt werden, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen und nachfolgenden Generationen eine intakte und lebenswerte Umwelt zu hinterlassen.

In den kommenden Jahren gilt mehr denn je: Zielführende Lösungen sind nur möglich, wenn verstärkt Synergieeffekte von Zielen aus dem Klimaschutz und der Klimaanpassung genutzt werden. Denn ein effektiver Naturschutz sowie eine naturverträgliche Landnutzungspolitik sind zentrale Elemente für einen natürlichen Klimaschutz. Freiwilligkeit und Angebot allein werden dabei nicht ausreichen, um den Naturschutz auf die Erfolgsspur zu bringen. Erforderlich sind anspruchsvolle ökologische Mindeststandards in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft genauso wie ein Abbau aller biodiversitätsschädigenden Subventionen. Zudem müssen alle Nutzungen in Schutzgebieten und im Bereich des Biotopverbundsystems konsequent der Erreichung der jeweiligen Schutzziele dienen. Um die anstehenden Aufgaben zum Schutz von Klima und Biodiversität sowie unserer Lebensqualität zu erreichen, ist darüber hinaus eine deutliche Stärkung der Naturschutzverwaltungen auf allen Ebenen notwendig.

 

1. Natürlichen Klimaschutz stärken

Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir in allen Lebensbereichen eine echte Transformation. Unsere natürlichen Ressourcen - Wasser, Bodenschätze, Energie, Natur - müssen wir umfassend schonen und einsparen. Und auch Naturschutz müssen wir neu denken. So müssen u. a. die Beiträge des natürlichen Klimaschutzes verstärkt in den Fokus von Naturschutzaktivitäten rücken, um zur Bewältigung der Klimakrise beizutragen.

Konkret bedeutet das:

  • Naturschutz ist auch Klimaschutz: Nur intakte Moore und gesunde Wälder können ihre natürliche Klimawirkung entfalten. Daher müssen der naturnahe Zustand von Mooren und Wäldern erhalten oder deren natürliche Funktionen wiederhergestellt werden.
  • Moorklimaschutz muss gesetzlich als eine Maßnahme zum Wohle der Allgemeinheit (ebenso wie Küstenschutz und Infrastrukturprojekte) eingeordnet werden. Die Subventionierung klimaschädigender Bewirtschaftung entwässerter organischer Böden durch Steuermittel ist einzustellen.
  • Um Arten eine Reproduktion und Ausbreitung zu ermöglichen, müssen Biotopverbundsysteme u.a. aus Säumen, Hecken, Feldgehölzen oder Kleingewässern gezielt angelegt und gefördert werden.
  • Ein gezieltes Flächenmanagement soll dabei unterstützen, Vorrangflächen für wirkungsvollen Naturschutz zu sichern. Hierzu gehört auch die verstärkte Ausübung eines Vorkaufsrechts für den Naturschutz. Ausgewiesene Schutzgebiete müssen ihren Schutzzweck erfüllen können.

Im Zuge des Klimawandels werden sich zudem extreme Wetterereignisse häufen, die bereits heute zu verheerenden Hochwassern, Sturzfluten oder anhaltender Trockenheit führen. Natürliche Retentionsräume müssen geschaffen bzw. erhalten werden, damit Niederschläge gespeichert und verzögert wieder abgegeben werden können. Zudem müssen Ökosysteme ertüchtigt werden, um ihre Stabilität zu erhalten (Systemresilienz).

Konkret bedeutet das:

  • Ein kluges Wassermanagement und ein nachhaltiger Wasserrückhalt in der Landschaft sind entscheidend, um erhebliche Schäden an Böden und Ökosystemen zu vermeiden und ein tiefgründiges Austrocknen der Böden zu verhindern. Ein nachhaltiger Landschaftswasserhaushalt muss durch ein kluges Niederschlagsmanagement reaktiviert werden, Drainagen müssen aktiv zurückgebaut oder für Niederschlagsretention und Grundwasseranreicherung aktiv genutzt werden.
  • Zur Hochwasservorsorge müssen natürliche Überschwemmungsflächen z. B. durch Rückdeichung zurückgewonnen werden. Unsere Auenlandschaften müssen regeneriert werden: Neben ihrer Funktion als Wasserspeicher dienen sie als natürlicher Kohlenstoffspeicher. Zudem gehören sie zu unseren artenreichsten Landschaften.
  • Als wichtiger Bereich für Biodiversität, Hochwasserschutz und vorrangige Renaturierungsziele sollte die Kulisse eines hundertjährigen Hochwasserereignisses (HQ100) dienen.

 

2. Energiewende und Artenschutz gemeinsam voranbringen

Die Bundesregierung will die Energiewende ohne den Abbau ökologischer Schutzstandards forcieren. Dazu soll insbesondere der Schutz der Arten verbessert werden, bei denen es Konflikte mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien gibt. Im Hinblick auf die produzierte Energiemenge spielen Wind- und Sonnenenergie und ihre Flächenbedarfe eine besondere Rolle. Um hier Konflikte zu minimieren, muss der Naturschutz von Anfang an bei der Flächenauswahl und der Flächenplanung einbezogen werden.

Konkret bedeutet das:

  • Bei der Ausweisung der bundesweit 2 % Flächen für die Windenergie an Land müssen von Beginn an Naturschutzanforderungen berücksichtigt werden. Dies muss zeitlich nach Ausbauzielen abgestuft auch auf allen Ebenen erfolgen, um Konfliktpotenziale im Genehmigungsverfahren zu reduzieren und – wo möglich – einen belastbaren Weg über die artenschutzrechtliche Ausnahme aufzuzeigen. Eine Auswahl geeigneter Flächen nur auf der kommunalen Ebene trägt dem nicht ausreichend Rechnung. Auch generelle Freistellungen von Einzelfallprüfungen des Arten- und Gebietsschutzes in dieser festgelegten Flächenkulisse sind abzulehnen.
  • Für die Artenschutzprüfung braucht es klar vollziehbare, einheitliche Maßstäbe im Rahmen des europäischen Naturschutzrechts. Die Prüfung muss anhand eindeutiger Standards für die Signifikanzprüfung auf den Einzelfall abstellen, und die Ausnahmeentscheidung muss bei Umsetzung von wirksamen Vermeidungsmaßnahmen zu schnellen Entscheidungen kommen. Dabei ist die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen einzuhalten, allerdings darf eine restriktive Begrenzung von Kosten weder generell die Vermeidungspflicht noch etablierte oder vielversprechende technische Vermeidungsmaßnahmen schwächen.
  • Ein nationales Artenhilfsprogramm soll den Schutz von Arten verbessern. Das finanzielle Volumen dieses Programms muss dauerhaft dem tatsächlichen Bedarf entsprechen und mit dem Ausbau anwachsen. Organisationsstruktur und personelle Ausstattung müssen eine zügige Realisierung der Maßnahmen erlauben. Diese müssen soweit vorbereitet sein, dass die Umsetzung sofort starten kann. Bedeutende Lebensräume sensibler Arten sind bei der Auswahl der Flächen für erneuerbare Energien auszunehmen. Dort sollen aufwertende Maßnahmen vorgesehen werden, um das Ziel einer insgesamt verbesserten Situation für die betroffenen Arten erreichen zu können. Das Programm muss flexibel an neue Erkenntnisse zur Betroffenheit von Arten angepasst werden können.

Die Ausbauziele der Bundesregierung für die Windenergie auf See (Offshore) beanspruchen sehr große Meeresflächen in Nord- und Ostsee. Diese Eingriffe verändern die marine Umwelt der Meeresgebiete in einem bisher nicht bekannten Ausmaß mit noch nicht absehbaren Folgen. Gleichzeitig befinden sich diese Meeresgewässer in keinem guten Umweltzustand. Sie können daher diese Veränderungen kaum puffern.

Konkret bedeutet das:

  • Die Standorte dürfen erst nach sorgfältigen Voruntersuchungen bereitgestellt werden.
  • Der Ausbau muss schrittweise realisiert und seine Wirkungen auf die Meeresnatur laufend überprüft werden.
  • Eine weitreichende Umsetzung von Vermeidungsmaßnahmen bei Bau und Betrieb ist erforderlich, inkl. der nächtlichen Abschaltung bei intensiven Vogelzugereignissen.
  • Ausgewiesene Meeresschutzgebiete und Hauptkonzentrationsgebiete für Seetaucher und Schweinswale sind von Windkraftanlagen freizuhalten und – abhängig vom Schutzgut – mit Puffern zu versehen.
  • Vogelzugkorridore sind freizuhalten.
  • Die vorgesehenen 10 % strengen Schutzgebiete gemäß EU-Biodiversitätsstrategie müssen schnell verwirklicht werden, um störungsfreie bzw. störungsarme Standorte zu schaffen.
  • In Windparks auf See darf keine aktive und passive Netz- und Hakenfischerei stattfinden.

Ein Viertel des geplanten Ausbaus der Photovoltaik (PV) soll auf Freiflächen stattfinden. Dies wird die Flächenkonkurrenz mit anderen Nutzungen sowie mit dem Naturschutz deutlich erhöhen.

Konkret bedeutet das:

  • Der Bau von PV-Anlagen soll in starkem Maße in Siedlungen, auf und an Gebäuden und auf bereits vorgenutzten Flächen stattfinden. Dazu sind (starke) finanzielle Anreize, aber auch rechtliche Vorgaben wie die Pflicht zu PV-Anlagen auf Dächern erforderlich. Dabei muss auch eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Kombination mit einer Dachbegrünung möglich sein.
  • Bei der Anlage notwendiger Freiflächen-PV-Anlagen müssen Naturschutzkriterien bei der Standortwahl sowie der Ausgestaltung der Anlagen verpflichtend einbezogen werden. Diese sind spezifisch für verschiedene Anlagentypen zu entwickeln. Dies gilt insbesondere für Aufwertungspotenziale auf freier Fläche und die Mehrfachnutzung von Flächen. Bereits naturschutzfachlich wertvolle Bereiche (Wiesenvogelgebiete, artenreiches Grünland, gesetzlich geschützte Biotope) sind von PV-Anlagen freizuhalten.
  • Neue Technologien z. B. Floating-PV, müssen bereits bei ihrer Entwicklung auf ihre Relevanz für den Arten- und Lebensraumschutz geprüft und bei Erkenntniszuwachs angepasst werden.
  • Wenn PV-Anlagen auf degradierten Mooren errichtet werden sollen, darf dies einer Renaturierung und Wiedervernässung nicht im Wege stehen.

 

3. Landnutzung naturverträglich gestalten

Die Rahmenbedingungen für die Landnutzung sind von der Bundespolitik künftig so zu gestalten, dass vorrangig naturverträgliche Nutzungen unterstützt und gefördert werden. Zu diesem Zweck müssen insbesondere das Bundesnaturschutzgesetz, das Baugesetzbuch, das Landwirtschaftsgesetz, das Bundeswaldgesetz, das Bundesjagdgesetz und andere die Landnutzung betreffenden Gesetze und Regelwerke novelliert werden. Es ist sicherzustellen, dass die Ziele des Europäischen "Green Deals" (Klima, Biodiversität, Farm-to-Fork) sowie des geltenden EU-Rechts (u.a. FFH-Richtlinie, Wasserrahmenrichtlinie) flächendeckend erreicht werden können. Entsprechende Maßnahmen und Instrumente müssen Eingang in die nationale Biodiversitätsstrategie finden. Hierbei müssen Synergien zum Klimaschutz durch die Stärkung der CO2-Senkenfunktion auch von genutzten Lebensräumen sowie zur Klimaanpassung berücksichtigt bzw. vermehrt geschaffen werden.

Konkret bedeutet dies:

  • Einführung von wirksamen ökologischen Mindeststandards für die landwirtschaftliche Nutzung. Auch notwendige Anpassungen in Folge des Klimawandels (z.B. Auswirkungen auf den Landschaftswasserhaushalt, Stärkung der Resilienz von Biotopen und des Biotopverbunds) müssen hierbei berücksichtigt werden. Dies soll für die Forst- und Fischereiwirtschaft entsprechend gelten.
  • Schaffung eines Mindestflächenanteils von 10 % für Landschaftselemente, Saumstrukturen und nichtproduktive Flächen in der Offenlandschaft, wie es auch die Zukunftskommission Landwirtschaft empfiehlt.
  • Verbot der Zulassung, Produktion und Anwendung von besonders biodiversitätsgefährdenden Pestiziden.
  • Ausschluss der Anwendung von Pestiziden in Schutzgebieten und Schaffung eines ambitionierten nationalen Pflanzenschutz-Reduktionsplans, der die Einsatzmengen und Risiken durch Pestizide vermindert. Der Reduktionsplan muss mit messbaren Zwischenzielen und verbesserten Monitoringprogrammen ausgestattet sein, konkrete Grenzwerte festlegen und durch eine Pestizidabgabe flankiert werden.
  • Ordnungsrechtliche Sicherung des artenreichen Dauergrünlands in Kombination mit gezielten Fördermaßnahmen für die Landbewirtschaftung.
  • Neuausrichtung der Düngepolitik an den ökosystemaren Grenzen und den Vorgaben des Gewässerschutzes, um die flächendeckende Gefährdung des Grund- und Trinkwassers und den anhaltenden Verlust nährstoffarmer Lebensraumtypen durch Eutrophierung wirksam einzudämmen. Hierzu gehört auch die Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente wie eine Stickstoffüberschussabgabe.
  • Konsequente Ausrichtung der künftigen Agrarförderung an ökologischen Leistungen. Der Ausstieg aus den pauschalen Direktzahlungen muss bis zum Beginn der nächsten EU-Förderperiode erfolgen und kann z.B. durch das Modell der Gemeinwohlprämie abgelöst werden. Schon bei der anstehenden Überprüfung der nationalen Umsetzung der EU-Agrarpolitik (GAP) müssen weitere Handlungsspielräume für eine gezielte Stärkung ökologischer Leistungen genutzt werden. Dazu gehört die Sicherstellung von mindestens 10 % nicht-produktiven Flächen, das Angebot weiterer naturschutzfachlich wirksamer und finanziell attraktiver Öko-Regelungen sowie die maximal mögliche Umschichtung von Mitteln aus der ersten in die zweite Säule.
  • Ergänzung der landwirtschaftlichen Ausbildung um Inhalte des Schutzes und der Entwicklung der biologischen Vielfalt sowie des Klimaschutzes und der Klimaanpassung.
  • Verbesserung der Kooperation und Kommunikation mit der Landwirtschaft, auch auf überbetrieblicher Ebene, und Ausbau der Biodiversitätsberatung.

 

4. Biodiversitätsoffensive starten

Die Klimakrise und der weltweit vielfach dokumentierte Rückgang der biologischen Vielfalt bedingen einander und können nur gemeinsam gelöst werden. Die Ursachen sind bekannt und es liegen mittlerweile umfangreiche Programme und Strategien sowohl zur Rettung des Klimas als auch zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität vor.

Zur Umsetzung der im Rahmen der EU-Biodiversitätsstrategie und des UN-Übereinkommens über die Biologische Vielfalt (CBD) eingegangenen Verpflichtungen ist es erforderlich, dass die dort beschlossenen Ziele zu Schutz, Erhaltung und Wiederherstellung der Vielfalt von Arten und Lebensräumen im Rahmen der neuen Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt (NBS) auf nationaler Ebene umgesetzt werden.

Konkret bedeutet dies:

  • Zügige Neufassung und Implementierung einer ambitionierten NBS und eines Nationalen Aktionsplanes auf Basis des neuen CBD-Rahmenwerkes und der EU-Biodiversitätsstrategie mit konkreten Zielen und Maßnahmen für alle Bundesressorts, inklusive eines Mechanismus zur Erfolgskontrolle.
  • Bereitstellung ausreichender personeller und finanzieller Mittel zur Umsetzung der neuen NBS und des geplanten Nationalen Aktionsplanes auf allen politischen Ebenen und unter Einbindung aller relevanter Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft bis 2030.

Auch in ausgewiesenen Schutzgebieten schreitet der Artenrückgang ungebremst voran. Selbst hier können notwendige Maßnahmen des Naturschutzes nicht umgesetzt werden, ohne dass andere, vor allem wirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Gleichzeitig steigt, häufig verstärkt durch Subventionen, auch außerhalb von Schutzgebieten der Druck auf die Flächen, z.B. durch Bebauung, Infrastrukturprojekte oder die Energiewende, an. Daher müssen Schutzgebiete künftig konsequenter geschützt werden.

Konkret bedeutet dies:

  • Ausweisung von mindestens 10 % der Fläche als strenge Schutzgebiete im Sinne der EU. Die zur Erhaltung der biologischen Vielfalt erforderlichen Ziele müssen dort Vorrang vor allen anderen Nutzungsansprüchen erhalten.
  • Messbare naturschutzfachliche Aufwertung von Schutzgebieten. Schutzgebiete sollten nicht nur Rückzugsräume bedrohter Arten sein, sondern der Entwicklung starker Populationen dienen, damit sich die Arten von dort aus über Flächen des Biotopverbunds wieder ausbreiten können.
  • Durch eine Kombination von Ordnungsrecht (z.B. Novelle Bundesnaturschutzgesetz, Überarbeitung von Schutzgebiets-Verordnungen) und gezielten Förderprogrammen ist sicherzustellen, dass alle negativen Einflüsse in bzw. auf Schutzgebiete wie z.B. Nährstoff- und Pestizideinträge, Trockenlegung von Feuchtgebieten oder zu starker Besucherdruck so reguliert werden, dass Konflikte mit den Schutzzielen ausgeschlossen sind.

Da sich die internationalen Ziele zur Erhaltung der Biodiversität nicht nur innerhalb bestehender Schutzgebiete erreichen lassen, muss ein weiterer Schwerpunkt der NBS darin liegen, einen engagierten Beitrag zur Wiederherstellung von Ökosystemen im Sinne der aktuellen UN-Dekade sowie des Vorschlags für ein EU-Renaturierungsgesetz zu leisten.

Konkret bedeutet dies:

  • Zeitnahe Umsetzung der internationalen Ziele zur Wiederherstellung von Ökosystemen, indem weitere 10 % der Fläche naturschutzfachlich stark aufgewertet werden. Ein Schwerpunkt soll hier auf Pufferzonen um Schutzgebiete, Biotopverbundachsen und Flächen gelegt werden, bei denen sich besondere Synergien zu Klimaschutz und Klimaanpassung ergeben, z.B. durch die Renaturierung von Mooren und artenreichem Grünland, die Wiederherstellung frei fließender Flüsse und naturnah überfluteter Auen, die Wiedervernässung organischer Böden und die Regeneration entwässerter und die Ausweisung nutzungsfreier Wälder.
  • Grundsätzlich sind flächendeckend alle Subventionen für Landnutzungen so zu gestalten, dass sie zur Förderung der Biodiversität beitragen.
  • Einführung eines effektiven Monitorings und einer effizienten Berichterstattung sowie eine stärkere Begutachtung der Erfolge und Lücken der bisherigen Strategien

 

Ausblick: Die Transformation als Booster für den Naturschutz nutzen!

Die Teilnehmenden des 36. Deutschen Naturschutztags fordern die Landesregierungen und die Bundesregierung auf, umgehend die genannten Schritte konsequent anzugehen, um den dramatischen Verlust der Vielfalt an Arten und Lebensräumen in Deutschland und darüber hinaus endlich zu stoppen und unsere natürlichen Ressourcen zu schützen. Wir bitten die Bundesregierung, sich für die dazu notwendigen Maßnahmen auch im Rahmen der EU und der internationalen Staatengemeinschaft einzusetzen.

Angesichts der bevorstehenden Transformation in den Bereichen Energie, Verkehr und Industrie hat die Erhaltung und naturnahe Entwicklung von Natur und Landschaft eine Schlüsselrolle inne. Naturschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe; ein erfolgreicher Naturschutz sowie eine naturverträgliche Landnutzung leisten zentrale Beiträge für einen natürlichen Klimaschutz und den Erhalt der biologischen Vielfalt. Daher appellieren die Teilnehmenden des 36. Deutschen Naturschutztags an Verantwortungsträger:innen in Politik und Gesellschaft, sich für eine Qualitätsoffensive im Naturschutz einzusetzen und dazu beizutragen, ihm in den kommenden Jahren endlich höchste Priorität einzuräumen.