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Kieler Erklärung „Klarer Kurs für Meere und Küsten“

Verabschiedet durch die Teilnehmenden des 34. Deutschen Naturschutztags (25.-29.9.2018 in Kiel)

„Wir alle sind verantwortlich.“

Prof. Mojib Latif, Klimaforscher

Präambel

Intakte marine Ökosysteme und ihre Ökosystemleistungen sind existenzielle Grundlage für uns Menschen. Sie dienen als wichtiges Reservoir für die biologische Vielfalt, sind Erholungsort und entscheidend für das Klima. Meere und Küsten sind wertvolle Nahrungs-, Rohstoff- und Energiequellen. Trotzdem werden die Meere weit über ihre Belastungsgrenze hinaus ausgebeutet und missbraucht.

Die Bandbreite der Probleme reicht von Nähr- und Schadstoffeinträgen, Überfischung, schädlichen Fischereipraktiken, Klimawandel, Versauerung, dem Betrieb nicht nachhaltiger Aquakulturen, unkontrolliertem Rohstoffabbau, technischen Installationen und militärischer Nutzung bis hin zu Verlärmung und Vermüllung. Die eindrücklichen Bilder der Müllteppiche in den Meeren  führen uns täglich die Dramatik vor Augen.

Auch Industrie, Landwirtschaft und Verkehr - selbst aus küstenfernen Regionen - tragen zum schlechten Zustand der Meere bei, ebenso die Auswirkungen von nicht nachhaltigem Tourismus und dem Einsatz fossiler Energieträger.

Daher muss allen klar sein: Für den Schutz der Meere und Küsten tragen nicht nur Küstenbewohner die Verantwortung, und er ist nicht allein Aufgabe des Naturschutzes. Der umfassende Schutz der Meere betrifft die Weltgemeinschaft ebenso wie jeden Staat und letztlich auch jeden einzelnen Menschen. Alle müssen handeln. Ein Nichthandeln gefährdet unser aller Zukunft und die der Meeresnatur in unverantwortlicher Weise.

Ein wichtiges Ziel politischen und gesellschaftlichen Handelns muss es daher sein, einen nachhaltigen Umgang mit Meeren und Küsten zu erreichen. Trotz steigenden Nutzungsdrucks durch die rasant wachsende Weltbevölkerung müssen die negativen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Meeresnatur umfassend vermieden oder so gemindert werden, dass wieder ein „guter Umweltzustand“ der Meere erreicht wird. Die Staatszielbestimmung unseres Grundgesetzes in Artikel 20a und die EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie müssen endlich Grundlage des Handelns werden.

Wir, die Teilnehmenden des 34. DNT, stellen fest, dass es trotz internationaler und nationaler Vereinbarungen zum Schutz der Meere eklatant an der konsequenten Realisierung mangelt. Im Interesse heutiger und künftiger Generationen muss der Meeresschutz seiner Bedeutung entsprechend auf allen politischen Ebenen verankert und ernsthaft umgesetzt werden.

Aus der Erkenntnis heraus, dass viel stärker als bisher gehandelt werden muss, haben wir, die Teilnehmenden des 34. Deutschen Naturschutztages, folgende Forderungen verabschiedet:

  1. Marine Lebensräume und Lebensgemeinschaften nachhaltig schützen!

  2. Marine Umwelt nachhaltig nutzen!

  3. Vermüllung der Meere stoppen und militärische Altlasten beseitigen!

  4. Einträge von Nähr- und Schadstoffen erheblich reduzieren!

  5. Negative Auswirkungen der Energiegewinnung begrenzen!

  6. Administration und rechtliche Regelungen wirksamer machen!

  7. Herausforderungen und Lösungen

 

1.   Marine Lebensräume und Lebensgemeinschaften  nachhaltig schützen!

Marine Lebensräume und Lebensgemeinschaften können nur bewahrt werden, wenn besonders wertvolle Küstenabschnitte und Meeresgebiete unter Schutz gestellt werden und auf die Nutzung wesentlicher Teile gänzlich verzichtet wird. Derzeit gibt es in Deutschland noch viel zu wenig nutzungsfreie und nutzungsarme Gebiete.

Die Teilnehmenden des 34. DNT fordern daher:

  • Schutz aller Arten und Lebensräume vor weiter anhaltenden Belastungen.
  • Weiterentwicklung des Schutzgebietssystems in den deutschen Meeresgewässern.
  • Schnelle und konsequente Sicherung der Wanderkorridore und Zugwege wandernder Arten.
  • Unterstützung der weiteren Ausweisung von Schutzgebieten in internationalen Gewässern.
  • Effektiver Schutz und effektives Management bestehender und künftiger Meeres- und Küsten(schutz-)gebiete u. a. durch die Minimierung der Belastungen durch Schifffahrt, fischereiliche Tätigkeiten, Tourismus und die Unterlassung des gewerblichen Rohstoffabbaus.
  • Einführung schutzgebietskonformer Befahrensregelungen.
  • Naturnahe Gestaltung von Küstenschutzmaßnahmen, die im Einzelfall auch Rückdeichungen umfassen kann.
  • Durchführung von Biotop- und Artenschutzmaßnahmen, z. B.  die Wiederansiedlung von Arten und die Wiederherstellung von Biotopen.
  • Etablierung eines geeigneten Monitorings der deutschen Meeres- und Küstengebiete sowie der zügige Abschluss einer flächendeckenden marinen Biotopkartierung.

 

2.   Marine Umwelt nachhaltig nutzen!

Insbesondere nicht nachhaltige Fangmengen und Fischereimethoden stören die marinen Nahrungsnetze und schädigen die Lebensgemeinschaften der Meeresböden. Natur und Umwelt werden durch den kontinuierlich wachsenden Verkehr riesiger Fracht-, Container- und Kreuzfahrtschiffe schwer belastet. Neobiota werden eingeschleppt, Schadstoffe und das Gift von Schiffsanstrichen gelangen ins Wasser. In Küstennähe stellt naturunverträglicher Tourismus eine zunehmende Bedrohung dar. Verschärft wird die Belastung der Ozeane durch den weltweit ständig steigenden Abbau von Bodenschätzen.

Die Diskussionen auf dem 34. DNT haben gezeigt, dass internationale Abkommen zum Schutz der Meere noch nicht ausreichend wirken und nur schleppend umgesetzt werden.

 

Die Teilnehmenden des 34. DNT fordern daher:

  • Verbindliche Einführung nachhaltiger Fischereimengen und
    -methoden; verbesserte Kontrollen der Berufs- und Freizeitfischerei und der Anlandungen in Deutschland.
  • Konsequentes Vorgehen gegen illegale Fischerei.
  • Durchsetzung technischer Modernisierungen zur Emissionsverringerung (Schadstoffe, Lärm, etc.)  im Seeverkehr.
  • Unterlassung von Rohstoffabbau (Öl, Gas, Sand, Kies, etc.) in ökologisch sensiblen Meeresgebieten.
  • Entwicklung eines ökologisch orientierten Sedimentmanagements.
  • Moratorium für den Tiefseebergbau.
  • Entwicklung und Etablierung eines nachhaltigen Küsten- und Meerestourismus mit Schutz- und Ruhezonen für Meeresorganismen sowie einer angemessenen Befahrensregelung (z. B. Routenführung, Geschwindigkeit, Schallemissionen) für die Meeresschutzgebiete.

 

3.   Vermüllung der Meere stoppen und militärische Altlasten beseitigen!

Jedes Jahr gelangen etwa zwölf Millionen Tonnen Müll in die Weltmeere. Dieser Müll besteht vor allem aus Plastik, das in immer kleinere Teilchen zerfällt. Die Müllmengen belasten die Ökosysteme, ebenso wie Tourismus und Fischerei. Zudem lagern allein in deutschen Meeresgewässern rund 1,6 Millionen Tonnen „entsorgter“ und verloren gegangener Kampfmittel.

Die Teilnehmenden des 34. DNT fordern daher:

  • Drastische Reduktion der weltweit anfallenden Müllmengen.
  • Deutsche Unterstützung für den Aufbau von fachgerechten Entsorgungs- und Recyclingsystemen nicht vermeidbarer Müllmengen weltweit.
  • Die bereits in die Gewässer gelangten Müllmengen müssen ökologisch verträglich wieder aus den Ökosystemen entfernt werden.
  • Reduktion von Mikroplastikeinträgen, z. B. aus Bekleidung und Reifenabrieb, sowie Verbot von Mikroplastik in Kosmetika, Reinigungs- und Haushaltsmitteln.
  • Kein Plastikeintrag in Form von Netzresten oder Dolly Ropes.
  • Keine Müllentsorgung auf See; in allen Häfen müssen einfach zugängliche Entsorgungseinrichtungen für Schiffe bereitgestellt werden.
  • Flächendeckende Erfassung der mit militärischen Altlasten belasteten Meeresgebiete und vorrangig sprengungsfreie Sanierung.
  • Weiterentwicklung und Anwendung technischer Verfahren zur Bergung von Müll und Munition aus dem Meer.
  • Einrichtung eines Finanzierungsinstruments zur umweltverträglichen Entsorgung von Munitionsaltlasten.

 

4.   Einträge von Nähr- und Schadstoffen erheblich reduzieren!

Vor allem küstennahe und flache Meeresbereiche sind durch den Eintrag von Nähr- und Schadstoffen stark belastet. Diese tragen wesentlich dazu bei, dass die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) und der Meeresstrategie­rahmen­richtlinie (MSRL) für Nord- und Ostsee verfehlt werden. Wichtige Eintrittspfade sind Flüsse und die Atmosphäre. So gelangen Nähr- und Schadstoffe u. a. über kommunale und industrielle Abwässer in das Meer. Vor allem die intensive Landwirtschaft trägt über diffuse Einträge von Nährstoffen und Pestiziden neben Abwässern aus der Schifffahrt, Klärschlämme sowie diffuse Einträge über die Luft (Schwermetalle, Schwefel und Stickstoff, z. B. aus Verbrennungsmotoren, Heizung, Industrie) maßgeblich zur Belastung bei. Freigesetztes CO2, z. B. aus der Entwässerung von Mooren, gefährdet zudem die Meeresumwelt durch die Versauerung des Meerwassers.

Auch wenn die Einträge von Stickstoff und Phosphaten in die deutschen Meere in den letzten Jahrzehnten bereits reduziert wurden, ist die aktuelle Belastung immer noch zu hoch.

Die Teilnehmenden des 34. DNT fordern daher:

  • Konsequente Ausrichtung der Agrarpolitik an nachhaltigem Ressourcen- und Gewässerschutz.
  • Einführung einer Stickstoffüberschuss- und Pestizidabgabe; Aufhebung der Freistellung der Landwirtschaft beim Abwasserabgabengesetz.
  • Gesetzliches Verbot bzw. drastische Reduktion des Ackerbaus, der Düngung und des Pestizideinsatzes in den Überschwemmungsgebieten an Fließgewässern (HQ-100-Bereiche).
  • Konsequente Renaturierung von Moorböden.
  • Weitere Verschärfung und konsequenter Vollzug des Düngerechts, um die Nitratrahmenrichtlinie, die WRRL und die MSRL einzuhalten.
  • Bereitstellung ausreichender Auffangkapazitäten für die Entsorgung von Schiffsabwässern in Häfen.
  • Einführung einer wirksamen CO2-Bepreisung in allen Sektoren.

 

 5.   Negative Auswirkungen der Energiegewinnung begrenzen!

Eine weitere Belastung ergibt sich durch die Gewinnung von Erdöl, Erdgas und Windstrom im Meer. Neben einer direkten Gefährdung, z. B. bei Unfällen durch austretendes Erdöl, kommt es auch bei Windparks zu einer Gefährdung von Vögeln und Fledermäusen durch die Kollision mit Anlagen und Zerschneidung ihrer Zugrouten sowie den Verlust von Nahrungs- und Rastgebieten. Zudem entstehen Lärmbelastungen beim Bau und Betrieb der Windräder und der Verlegung der zugehörigen Stromkabel. Der Lärm kann Schweinswale und Fische verletzen und sie aus ihren Lebensräumen vertreiben. Der Bau der Anlagen und der erforderlichen Stromleitungen verursacht zusätzliche Eingriffe in den Meeresboden.

Die Teilnehmenden des 34. DNT fordern daher:

  • Energiepolitische Ziele immer mit den meerespolitischen Verpflichtungen Deutschlands zusammen denken.
  • Kein Neu- oder Ausbau der Offshore-Windenergie in Schutzgebieten der Nord- und Ostsee.
  • Das Wissen über die Auswirkungen von Windkraftanlagen auf die Meeresnatur erweitern, insbesondere in Bezug auf Störwirkungen, wie sie z. B. durch Lärm über und unter Wasser entstehen.
  • Konsequente Umsetzung dieser Erkenntnisse und des Stands der Technik beim Bau und Betrieb von Anlagen.
  • Stopp der Öl- und Gasförderung in Schutzgebieten.
  • Einführung der naturschutzrechtlichen Kompensationsregelung für den Bau von Windenergieanlagen auf dem Meer.

 

6.   Administration und rechtliche Regelungen wirksamer machen!

Viele aus Naturschutzsicht besonders bedeutsame Meeresgebiete auf der hohen See sind nicht wirksam geschützt. Sie werden ausgebeutet und teilweise sogar zerstört. Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt fordert die Vertragsstaaten seit langem auf, ein geeignetes Netz geschützter Meeresbereiche einzurichten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür sind entweder noch nicht vorhanden oder wenig wirksam. Auch wenn es ein langwieriger Prozess ist, sind dennoch klare, völkerrechtlich  verbindliche Regelungen und Zuständigkeiten für die Umsetzung zu schaffen. Auch auf nationaler und EU-Ebene besteht Handlungsbedarf.

Die Teilnehmenden des 34. DNT fordern daher:

  • Einrichtung einer obersten internationalen Behörde im Rahmen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen unter Schaffung klarer Zuständigkeiten und Rechtsgrundlagen zum umfassenden Schutz der Meeresumwelt.
  • Anpassung des EU-Verfahrens für Fischereibeschränkungen für Schutzgebiete (im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik) an naturschutzfachliche Notwendigkeiten. Die Unterordnung der EU-Naturschutzpolitik unter die EU-Fischereipolitik muss beendet werden.
  • Einrichtung ausreichend personell und finanziell ausgestatteter Schutzgebietsverwaltungen und eines effektiven Schutzgebietsmanagements für alle nationalen und internationalen Meeresschutzgebiete.
  • Umsetzung des Ökosystemansatzes und Sicherung mariner Schutzgebiete als „Vorranggebiete Naturschutz“ in der marinen Raumordnung für eine nachhaltige Raumentwicklung der Meere.
  • Konsequente Anwendung des Verursacherprinzips und strikte Ahndung von Verstößen.
  • Reform des Bergrechts: Das Bergrecht darf dem Naturschutzrecht in Schutzgebieten nicht übergeordnet sein.

 

Abschluss

Wir, die Teilnehmenden des 34. Deutschen Naturschutztags, fordern die Landesregierungen, die Bundesregierung, die Europäische Union sowie die Staatengemeinschaft auf, umgehend die genannten Schritte konsequent anzugehen, um den seit Jahren bekannten drängenden Problemen der Meeresumwelt regional, national und international zu begegnen und die notwendigen Lösungen umzusetzen. Die Nichtregierungsorganisationen sind aufgefordert, diesen Prozess aktiv zu begleiten, konsequent zu unterstützen und die notwendige Umsetzung kontinuierlich einzufordern.

Bestehende Übereinkommen, Strategien und Programme müssen konsequent umgesetzt und - wo erforderlich - fortgeschrieben werden. Dazu sind die finanziellen Ressourcen sicherzustellen, die administrativen Bedingungen und rechtlichen Regelungen bedarfsgerecht zu optimieren und das internationale Engagement Deutschlands weiter zu stärken. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Einrichtung internationaler Meeresschutzgebiete, die Vermeidung von Einträgen, die Förderung einer nachhaltigen Fischerei und die Erreichung nationaler und internationaler Klimaschutzziele.